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Wenn man agil gedacht hätte…

In den 90er Jahren wurden in der ganzen Schweiz nach und nach Schulleitungen eingeführt. Die Argumentation lief wie folgt: „Gute Schulen haben eine professionelle Leitung.“ Gegen diesen Grundsatz kann man eigentlich nichts einwenden. Trotzdem hat die neue Rolle in der Bildungslandschaft für grosse Irritation gesorgt. Wie hätte sich wohl die Rolle der Schulleitung entwickelt, wenn man von einer agilen Organisation ausgegangen wäre? Dieser Eintrag ist also eine kritische Reflexion über Rollen, Rollenbilder und ungeklärte Erwartungen. Vorausschicken möchte ich, dass ich die Rolle als Lehrpersonal, Schulleitung und Bildungsbehörden aus meinem aktiven Berufsalltag kenne und ausgeführt habe. Insbesondere habe ich die Einführung von Schulleitungen aktiv miterlebt.

Die Schule vor der Einführung von Schulleitungen

Bevor in den 1990er Jahren Schulleitungen die Bühne der Volksschulbildung bestiegen, gab es diese Rolle bereits. Schulen der Sekundarstufe II und III hatten traditionellerweise Rektoren, ebenso grössere Gemeinden und Städte, welche mehrere Schulen auf dem Gemeindegebiet hatten. Die Aufsicht der Schule, insbesondere der Volksschule übernahmen (und übernehmen heute noch teilweise!) sog. Inspektoren, welche der jeweilige Kanton in die Schulen geschickt hatte. Würde man die Rolle der Rektoren wie der Inspektoren heute umschreiben, so waren dies oftmals Berater aus der Ferne, welche im Alltag von Lehrpersonen höchstens eins bis zwei Mal jährlich präsent waren. Mit der Einführung betriebswirtschaftlicher Grundsätze in der Verwaltung (Schedler, 2000) wurde auch der Ruf nach einer „professionellen Führung“ der Schulen laut. Die Idee dahinter beschreibt Schedler (2000, S. 27) wie folgt:

Die Wirkungsorientierte Verwaltungsführung ist ein Steuerungsmodell für Politik und Verwaltung, das sein Hauptaugenmerk auf die Wirkungen des staatlichen Handelns legt. Ziel der WoV ist es, die Grundidee der Wirkungsorientierung in alle Entscheidungsmechanismen und –instrumente von Politik und Verwaltung einzuführen.

(Schelder, 2000, S. 27)

Um die Wirkung zu überprüfen, wurden somit verschiedene Instrumente eingeführt (Leistungsaufträge, Kennzahlensysteme, Controlling). Unter diesem Stern stand auch die Einführung der Schulleitungen.

…und wie wurde die neue Rolle der Schulleitung definiert?

Die Schulleitung hat nun die operative Führung übernommen. Zu den zentralen Aufgaben gehört (Bruppacher & Lüscher, 2005):

  • Personalplanung, -rekrutierung und -entwicklung
  • Systematische Qualitätssicherung und -entwicklung 
  • Profilierung der Schule und Förderung der Zusammenarbeit im Kollegium
  • Zusammenarbeit mit den Behörden, Eltern und Verwaltung
  • Budget- und Rechnungskontrolle
  • Aktive Information über das Schulgeschehen
  • Kompetenzen:
  • Weisungsbefugnis gegenüber den Mitarbeitenden des Schulsekretariats, des Hausdienstes sowie gegenüber den Lehrpersonen.
  • Verfügungsrecht über die budgetierten Mittel im Rahmen der Finanzkompetenz.

Mit diesem Auftrag ausgestattet, gingen die Schulleiterinnen und Schulleiter an den Start.

Ist Führung in der Agilität in den Schulleitungen angelegt?

Um diese Frage zu beantworten, lohnt sich ein Blick auf die Entwicklung von Führung. Eine schöne Übersicht bieten hier Oestereich und Schröder (2020, S. 219).

Um beim Narrativ von WoV zu beginnen, ist der Fokus primär auf Leistung und Effizienz, was typische Merkmale des sog. Taylorismus sind. In der Konsequenz wird dabei Selbstorganisation vermieden. Betrachtet man die Aufgaben einer Schulleitung etwas genauer, so stellt man fest, dass die Personale Führung eine starke Betonung erhält. Somit steht die Rolle der Schulleitung als Entscheidungsinstanz stark im Zentrum (vgl. Bruppacher & Lüscher, 2005). Instrumente wie Personalbeurteilung und -förderung, Weisungsbefugnis, Qualitätssicherung oder  Finanzkontrolle orientieren sich  stark an der Kontrolle der Leistungserstellung . Der Teambasierten oder lateralen Führung im Sinne von Shared Leadership wird wenig, der strukturellen Führung fast keine Bedeutung zugeschrieben. Zumindest ist sie nicht offensichtlich und damit auch nicht formalisiert. Es obliegt also der jeweiligen Persönlichkeit und dem Kontext der Schulleitung und Schulbehörden, ob auch die anderen Führungsaspekte Eingang in die Führungsausgestaltung finden.

Führung in der agilen Schule – ein kurzes Fazit

Wie wäre die Schulführung im agilen Kontext wohl eingeführt worden? Zumal der Grundsatz der lateralen Führung vor der Einführung als zentraler Wert gehandhabt wurde, ganz nach der folgenden Aussage von Ed Schein (1965):

Führung ist eine Funktion der Organisation und nicht an eine Person geknüpft.


(Ed Schein, 1965 aus den eigenen Unterrichtsnotizen)

Eine explizite Fokussierung auf die Teambasierte, laterale Führung und die Strukturelle Führung hätte wohl der bisherigen Kultur in der Schule eher entsprochen. Gerade in agilen Organisationen ist die Betonung von Struktureller und Teambasierter Führung wichtiger, als die Personale Führung. Somit wäre der Anspruch an die Schule, vom Einzelkämpfertum jeder Lehrperson zu einem Teamsport wohl einfacher abgelaufen (vgl. Laloux, 2015, S. 98).

Hätte man zu Beginn den Fokus auf gemeinsame Planungs- und Entscheidungsprozesse als Stukturelle Führungsinstrumente gelegt, bräuchte es weniger „Führungsentscheide“ und die Prinzipien der Gleichbehandlung wären trotz allem eingehalten. 

Nun, vor ein paar Tagen hat mir eine Schulleitung ein Bild des KANBAN-Boards ihrer Schule geschickt. Vielleicht entsteht nach dem kreativen Chaos nun eine neue Kultur. (Laloux, 2015, S. 273)

Als Vater von Schulkindern stimmt mich das zumindest zuversichtlich…

Bruppacher, M., & Lüscher, J. (2005). Schulleitung gesucht. Aarau: Fachhochschule Aargau/Nordwestsschweiz.

Laloux, F. (2015). Reinventing Organizations. München: Verlag Franz Vahlen.

Oestereich, B., & Schröder, C. (2020). Agile Organisationsentwicklung – Handbuch zum Aufbau anpassungsfähiger Organisationen. München: Verlag Franz Vahlen

Schedler, K. (2000). Wirkungsorientierte Verwaltungsführung: Begriffe und aktueller Stand der Entwicklung. In D. Pulitano (Ed.),   New Public Management. Terminoligie – terminologie – terminologia  (pp. 33–47). Bern/Stuttgart/Wien: Haupt Verlag.