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Selbsterkenntnis auf dem Weg in die Agilität

Die Zeit vergeht wie im Flug und wieder ist ein CAS-Modul abgeschlossen. Diesmal muss ich feststellen, dass mich das Thema «Personal Agility» auf sehr unterschiedliche Weise gefordert und zum Teil überfordert hat.

Summary:

«Ein Mensch muss wissen, was er will, und wissen, was er kann:

Erst so wird er Charakter zeigen und erst dann kann er etwas Rechtes vollbringen»

Die Welt als Wille und Vorstellung, Arthur Schopenhauer, 1977, S. 251

Soziale Kompetenzen haben in der Agilitätsbestrebung eine neue Tragweite erreicht und die bis dato gefragten ‹hard skills› längstens überflügelt. Wer die Agilität meistern und als Gewinner vom Platz gehen will, muss eine reife Persönlichkeit entwickeln.
Selbsterkenntnis ist dabei der erste Schritt auf dem beschwerlichem Weg zu einer gefestigten inneren Stabilität. 

Persönliche Reife ist der Weg zur Agilität

In der agilen Welt ist die reife Individualität eine Lebensnotwendigkeit

https://www.wiwo.de/erfolg/beruf/new-work-in-der-agilen-welt-ist-die-reife-individualitaet-eine-lebensnotwendigkeit/24380670-2.html

Diese oder ähnliche Aussagen lassen sich zur Genüge in der Fachliteratur zum Thema Agilität und auf diversen Blogs wiederfinden.
Grund genug, sich mit dem Thema intensiver zu beschäftigen und die eigene Reife im Zusammenhang mit der Agilität zu hinterfragen.

Agilität als Bewältigungsstrategie unserer heutigen VUCA-Welt verlangt uns einiges ab. Kundenorientierung, schnelle Entscheidungen, enge Zusammen-arbeit, Anpassungsfähigkeit, Veränderungsbereitschaft und permanente Optimierung stehen hoch im Kurs.
Der tägliche Leistungsdruck ist allgegenwärtig zu beobachten und mich überkommt nicht selten das Gefühl der Überforderung.

An manchen Tagen weiss ich kaum wo mir der Kopf steht.
Es geht von einem Meeting ins nächste, Entscheidungen müssen getroffen, Probleme gelöst und Kunden befriedigt werden. Kleinigkeiten, wie eine banale Frage eines Mitarbeiter können dann das Fass schnell zum Überlaufen bringen und eine Kurzschlussreaktion bei mir auslösen.
Die eigenen Wünsche und Bedürfnisse bleiben dabei oft auf der Strecke und nicht selten gehe ich mit einem tiefen Gefühl der Unzufriedenheit und Ärger über mich selbst frustriert nach Hause.

Doch was tun?

Eine Antwort liefert Dr. Thomas Würzburger:

«Wer … agil und leistungsstark werden will, braucht ein STABILES ICH, das ihn mit den dafür notwendigen Kompetenzen ausstattet und ihm gleichzeitig innere Stabilität verleiht.«

Thomas Würzburger, Die Agilitätsfalle, 2019, S. 70

Aha, ein «stabiles Ich» muss also her.
Aber was ist das genau, dieses stabile Ich?

Als Voraussetzung zum «stabilen Ich» nennt Würzburger folgende Selbstkompetenzen:

  • Intrinsische Motivation
  • Selbsterkenntnis
  • Selbstkontrolle

und fasst diese im Würzburger Kompetenzmodell zusammen.

Quelle: https://thomaswuerzburger.com/blog/persoenlichkeitsentwicklung-die-alternative-zum-agilen-management-hype/

Goleman bezeichnet die oben genannten Kompetenzen als emotionale Intelligenz und stellt in Studien fest, dass diese Fähigkeiten doppelt so wichtig sind, wie jede andere Fähigkeit. (vgl. What Makes a Leader)
Selbstkompetenzen sind demnach der Schlüssel zum Tor der persönlichen Agilität.

Wie meine Offenbarung von oben zeigt, scheint bei vor allem in Sachen Selbstkontrolle Bedarf der Nachreife zu bestehen.

Selbsterkenntnis:
Eine Grundvoraussetzung für die persönliche Weiterentwicklung ist Selbst-erkenntnis. Denn ohne Wissen über seine eigenen Verhaltensweisen, seine Stärken und Schwächen, seiner Gefühle und Ziele ist eine Verbesserung seiner Selbst nicht möglich. Und auch das persönliche Glück ist eine Frage der Selbsterkenntnis.

Doch wer bin ich eigentlich und wie gut kenne ich mich?

Diese Frage klingt im ersten Moment trivial denn immerhin konnte mein 8-jähriger Sohn sie in 30 Sekunden spontan beantworten.

Doch ich selber scheitere kläglich auf der Suche nach einer Antwort.
Schenkt man dem renommierten Hirnforscher Gerhard Roth glauben, dann ist uns lediglich 0.1% dessen was unser Hirn gerade tut, bewusst. Der Rest passiert unbewusst, ist also eine Abfolge von erlernten Muster.
Daraus ziehe ich die Schlussfolgerung, dass der erste Schritt zur Beantwortung der Frage im Erkennen der eigenen Muster liegt.

Verhaltensmuster sind die Summe der unterschiedlichsten Einflussfaktoren und das Ergebnis unserer eigenen Geschichte und somit auch nicht durch unseren Willen beeinflussbar.

Um eigene Muster zu erkennen, eignet sich der im CAS präsentierte «Muster-Detektor», den ich direkt in folgender Alltagssituation angewendet habe.

Alltagssituation:
Seit mehreren Sprint wird in meinem Team an der Umsetzung einer User-Story gearbeitet und auch nach Abschluss des letzten Sprints konnte diese nicht umgesetzt werden. Erneut stellt sich heraus, dass die angestrebte techn. Lösung zu komplex ist und immer weitere Tasks auftauchen, die erledigt werden müssen.

Nachdem ich anfänglich sehr zurückhaltend darauf reagiert und meinem Team «blindes» Vertrauen geschenkt habe, dass das zugesicherte Commitment diesmal erfüllt wird, beginnt es jetzt langsam in mir zu brodeln und die Unzufriedenheit übersteigt einen für mich erträglichen Pegel. Dennoch halte ich mich weiter zurück und wähle die Coping-Strategie «Ruhig Blut bewahren».

Am liebsten würde ich jedoch mit den Worten «macht es nicht komplizierter als es ist» auf den Tisch schlagen und eine einfache Lösung zur Umsetzung diktieren. Immerhin haben wir uns die Kundenorientierung und die schnelle Lieferung von Ergebnissen als agiles Team auf die Fahne geschrieben. Stattdessen stehen wir seit Wochen ohne vorzeigbares Ergebnis dar.

Doch mein eigenes Harmoniebedürfnis hält mich letztendlich von einer solchen Tat ab. Zudem möchte ich keinen Konflikt mit einzelnen Teammitglieder riskieren und Gefahr laufen, dass die bisher positive Stimmung im Team kippt. Immerhin verbringe ich mehr Zeit mit diesem Team als mit meiner eigenen Familie.

Dies führt mich zu der Erkenntnis, dass ich auf Grund einer gewissen Konfliktscheue und dem Bedürfnis nach Harmonie meine Führungs-verantwortung in den Hintergrund stelle und damit u. U. Erfolge des Teams verhindere. Hinzu kommt ein gewisses Unvermögen die eigenen Gefühle mit dem Team zu teilen ohne dabei zu überreagieren und Vorwürfe zu kommunizieren.

In Einzelgesprächen mit anderen Mitgliedern meines Teams stellte sich jedoch heraus, dass auch sie ähnliche Ansichten wie ich vertraten, was mir eine gewisse Sicherheit verlieh und mich bestärkte das Thema in einer Retrospektive aufzugreifen und anzusprechen.
Schlussendlich ist die Scheu, etwas für mich belastendes anzusprechen, mit der Sicherheit nicht alleine dazustehen gewichen.

Durch die eigene Reflexion und im Dialog mit anderen können als problematisch erlebte Situationen oder Zustände analysiert und hinterfragt werden. Die gewonnen Erkenntnisse können anschliessend genutzt werden, um das eigene Verhalten in ähnlichen Situationen anzupassen und damit die eigene Selbstkontrolle zu verbessern.

Selbstverständlich ist das von mir beschriebene Verhaltensmuster nur eines von vielen. Einige dieser Muster sind mir durchaus bewusst und ich arbeite oder kämpfe vielmehr seit Jahren diese abzustellen.
Andere liegen im Verborgenen und sind damit blinde Flecken in der Selbsterkenntnis.

Auf dem Weg zur Selbsterkenntnis bzw. einem «stabilen Ich» liegen also noch einige Jahre harter Arbeit vor mir.
Trotz aller Bemühungen bleibt bei mir ein etwas bitterer Beigeschmack zurück.

Denn der Philosoph Richard David Precht und der Hirnforscher Gerhard Roth kommen zum Ergebnis, dass das menschliche Verhalten nur zu einem kleinen Teil (ca. 20%) tatsächlich bewusst änderbar ist.

«Die Ratio alleine bewegt überhaupt nichts»

Streitgespräch, Roth, Precht, https://magazin.spiegel.de/EpubDelivery/spiegel/pdf/65115053

Mit diesem Hintergrundwissen stellt sich mir die Frage:
Wie weit können oder wollen wir uns tatsächlich selbst optimieren auf dem Weg in die Agilität?